Liebes Archiv...Einträge vom September 2005

Bunnebake.

Etwas unbedarft hatte ich vor ein paar Wochen, im Park sitzend, mir eine ganz eigenwillige Musik auf die Ohren geknallt, und nun läßt sie mich nicht mehr los.
Der Interpret und seine Begleiter sind nicht unbedingt dem Hauptstrom zuzurechnen, ein Platz in den Paraden bleibt ihnen in der Regel verwehrt. Doch das ist kein Kriterium für mich, die dargebotene Interpretation der Gassenhauer hat mich auch so in ihren Bann gezogen. Besonders ein Lied spukt mir ungefragt im Kopf rum, Copacabana, die Geschichte von Rico und Lola, die ich wegen meiner beschränkten ausländischen Sprachkenntnisse noch nicht bis zum Ende entschlüsselt habe, kriegen sie sich? Naja, das erinnert mich doch spontan an den lustigen Kinderfilm 'Bunnebake', wo dieses ohrwurmige Lied wie ein Staffelstab durch die Stadt gereicht wird, vom Jungpionier an den Moppedsozius, bis es abends nach einer langen Odyssee müde und erschöpft seinen ursprünglichen Wirt heimsucht. Und am nächsten Tag geht der Scheiß wahrscheinlich wieder von vorne los - aber das wird nicht mehr gezeigt.

[]Kaliningrad / Donnerstach, 30. September 2005

Herbst klopft an.

Morgennebel liegt wie Spinnweben über den Wiesen, klebrig und zäh. Die Sonne scheint diffus wie hinter einer pergamentenen Wand. Sie brennt sich geduldig hindurch wie eine heiße Glühbirne durch eine Papierlampe.
Die Vögel, die zusammengekauert auf den Überlandleitungen hocken, denken mit Wehmut an die sorglose Saison und kriegen die klammen Flügel nicht auseinander. Kühl war die Nacht, Tau glänzt auf den Federn, ein Vorgeschmack auf die harte Zeit.
Als die Sonne endlich ihre Wärme verteilt, verspricht sie einen schönen Tag, vielleicht den letzten.

[]Kaliningrad / Mittwoch, 29. September 2005

Neid. Oder doch nicht.

Neid, es ist Neid, eindeutig, was sonst, Bewunderung vielleicht oder was? Nein, es kann nur Neid sein. Ich bin begeistert von diesen Worten, die sind einfach und ohne Umwege aus den Fingern direkt auf die Tastatur ins Internet geflossen, kann nicht anders sein. Kein kantiges Gefasel und mühseliges Herumdenken und Suchen nach dem treffenden Wort, kein stundenlanges Feilen, nein, Punktlandungen direkt aus dem Kopf, gnadenlos, rotzfrech, atemlos, nicht mal Zeit für Korrekturen. Ich werd auch zu genereller kleinschreibung und Hirn-Live-Schaltung übergehen, ich verschwende ja nur Kraft und verwässere reine Gedanken. Ja, es ist Neid, es muß Neid sein, nicht bloß Bewunderung.
Aber guck doch selbst.

[]Kaliningrad / Mittwoch, 29. September 2005

Weites Land.

Ratlos und etwas verstört verlasse ich Tschernjachowsk. Vor langer Zeit hieß der Ort Insterburg, doch das Durchschreiten der zwei ehemaligen Flanierstraßen reichte aus, um zu erkennen: Hier lebt man nicht in der Vergangenheit. Das Jetzt ist vertrackt genug. Die mühselige Suche nach Bauten, die in unseren Breiten Sehenswürdigkeiten genannt werden, gestaltet sich so aufregend wie in Sowjetsk, dem ehemaligen Tilsit. Ein Brei von einer Stadt, ohne Charakter. Ich habe keinen dieser Orte vorher gesehen, es sind die alten Leute in ihren komfortablen Bussen, die bei diesem Anblick in Tränen ausbrechen mögen. Ich wundere mich nur: Wie kann man es hier aushalten!?
Viel befriedigender ist es, auf den alten, engen Alleen durch die weite, menschenleere Landschaft zu fahren, die nur durch ein paar verschlafene Dörfer unterbrochen wird. Ein Radlerparadies! Omas, Kinder, eigentlich alle sitzen am Straßenrand, um das magere Einkommen mit dem Verkauf der Früchte der Saison aufzubessern: Äpfel, Mais, Pflaumen, Kartoffeln, Pilze, Beeren, Honig - alles was das Land hergibt, wird hier angeboten, manchmal nur stückweise. So weit weg von Kaliningrad, dem Nabel der Enklave, ist Zeit noch nicht Geld. Die Störche sind im Warmen, die zahllosen Nester auf Strommasten, Wasserspeichern und Schornsteinen verwaist. Adler und Bussard ziehen ihre Kreise. Mücken auch. Bauern ernten mit antiken Geräten die wenigen bewirtschafteten Felder ab. Urtümliche Wälder, idyllische Seen laden zum Verweilen ein. Die Zeit steht still. Nur die wilden Kaliningrader rasen mit ihren Westautos vorbei.

[]Kaliningrad / Montach, 26. September 2005

Montagmorgeneintrag.

10:00 Die anstrengenden Minuten auf dem stillen Örtchen haben zahlreiche Kapillaren im meinem Auge das Leben und mich viel Kraft gekostet. Gerade erst hat die Woche begonnen und ich bin schon völlig erschöpft. Sollte doch eigentlich anders sein, frisch und erholt aus dem Wochenende?! Zur Rekapitulation desselben bin ich noch nicht fähig...
16:00 Wielange ist es eigentlich schon her, das mit dem Wochenende? Nach einem reichlichen Mittag und etwas Papierarbeit ist jede Erinnerung an die letzten zwei Tage getilgt und ich muß die Fotos zuhilfe nehmen, um mich zu erinnern.
Und wie war eures???

[]Kaliningrad / Montach, 26. September 2005

Otjez Iossif.

Wenn mein Reiseführer, der Allwissende, nicht lügt, dann hat Vater Josef in seiner dreispitzigen Reformierten Kirche gerade die Glocken geläutet und der Stadt die Gelegenheit gegeben, in sich hineinzulauschen. Und nun schneidet er den russisch-orthodoxen Gläubigen, die sich zur Taufe angestellt haben, eine Strähne ab. Weil's Glück bringt. Oder ist es ganz anders?
Sammelt der gute Mann hier in der ehemaligen Michaelskathedrale und zwischenzeitlichen Turnhalle Haarproben, um eine verrückte Perückenfabrik aufzumachen?

[]Tschernjachowsk / Sonntach, 25. September 2005

Treue Gefährten: 2. Meine Geldklammer.

Ich bringe einigen Ländern schon eine gewisse Sympathie entgegen, wenn ihnen Hartgeld weitgehend fremd ist. Dann kommt meine Geldklammer ins Spiel und das fette Portemonnaie mit kiloschweren Münzen bleibt zuhause. Es lebe die Inflation!
Ich erinnere mich noch: Gekauft habe ich das gebogene Blech in Manila, in einem großen Kaufhaus. Sie war nicht teuer, ohne Schnickschnack und Schnörkel, wie ich es mag. All die wild verbrämten und verzierten Exemplare, die sich neben ihr in der Auslage räkelten, konnten nicht punkten. 'McJim' steht da auf einem kleinen Banner, darüber ein Oval mit einem stilisierten Melonenträger mit Schnäuzer, aber diese Albernheit habe ich gelernt zu übersehen. Die Klammer faßt neben unzähligen Scheinen auch noch die Not-Kreditkarte oder sonstige scheckkartengroßen Dokumente und läßt sich dann einfach in der Hosentasche versenken. Schon ist der Mann von Welt ausgehfertig!

[]Kaliningrad / Freitach, 23. September 2005

Ein Dampfen, kein Zischen.

Genau wie in dem großen Gedicht - von wem war es noch?? - hat sich die Sonne nicht ohne Mühe hinter dem Horizont hervorgequält. Um ihr übernächtigtes Äußeres vor dem kritischen Betrachter zu verbergen, umgibt sie sich mit einem gleißenden Licht, dem ohne starke Sonnenbrille nicht zu trotzen ist. So gehe ich tränenden Auges den Strand entlang.
Wohlwollend hüllt das Meer heute die Strahlen (die ja eigentlich Wellen sind, ne) ein in sanften Dampf, bis die Sonne ihre Bahn gefunden hat und wie auf Schienen dem Zenit zustrebt. So isse, die Ostsee, der alte Kumpel!

[]Kaliningrad / Freitach, 23. September 2005

Leute Leute.

Was sind das eigentlich für Leute, die hartnäckigst Antworten auf SMSen schuldig bleiben?? Zugegeben, es sind Ausnahmen, und von denen wiederum seltene Ausnahmen, die die Sache wirklich radikal durchziehen und NIE antworten. Ja, es gibt sie, sie sind unter uns.
Doch was treibt sie an, was sind ihre Beweggründe? Was denken sie sich dabei und was bezwecken sie damit? Ist es Psychoterror? Weiden sie sich an dem Gedanken, einen armen Menschen weinend in sein Moblitelefon starren zu sehen?? Oder ist es simple Ignoranz? Sind die Gefühle anderer ihnen egal? Oder handelt es sich um ein Mißverständnis? Hat der SMSer ein Fragezeichen vergessen? Oder gibt es beim Begriff MOBILtelefon ein Definitionsproblem? Sind da draußen etwa noch Menschen, die das Ding zuhause lassen?
Fragen über Fragen...

[]Kaliningrad / Mittwoch, 21. September 2005

Bernsteinfischer.


Geräuschlos hat er aus dem Bett sich gestohlen,
die Treppe knarrt trotz seiner leisen Sohlen.
Doch Mutti ratzt weiter, denn hart war die Nacht,
sie haben gegessen, getrunken, gelacht.

Die Sonne zum östlichen Horizont hetzt,
im Westen war's wild und sie blieb bis zuletzt.
Sie öffnet die Klüse, der Himmel erstrahlt,
das herrlichste Blau in die Sphäre sich malt.

Der Fischer steckt längst in der Gummihose,
die Brandung macht schonmal die Wellen lose.
Desgleichen die Algen, denn die will er fischen,
per Kescher tut er aus dem Wasser sie wischen.

Dann pfeffert er sie in den Ufersand
und wühlt nach dem teuren Altfrauentand.
Tatsächlich, es finden sich fette Brocken,
der Laie ist regelrecht von den Socken.

Sein Netz ist mit Klunkern schon prall gefüllt,
die Tasche von Mama paßt auch gut ins Bild.
So dackelt er weiter, das Baumharz zu klauben,
doch wieviel durchs Netz fiel ist kaum zu glauben!

Jetzt packt uns das Fieber, wir sind ganz entrückt,
das Wühlen im Grünzeug uns reichlich verzückt!
So machen die Steine den Hunger vergessen,
das Frühstück wird eher ein Mittagessen.

[]Kaliningrad / Sonntach, 18. September 2005

Ausgewogene Ernährung.

Man weiß inzwischen, daß man mit allen Mineralien, Vitaminen und Spurenelementen ausreichend versorgt ist, wenn man sich abwechslungsreich und ausgewogen ernährt. Genau dazu habe ich den folgenden Test gemacht, und es ging mir nicht schlecht danach.
Ich war von der vielen Arbeit etwas erschöpft, so warf ich ein paar Radieschen, die berühmten Radikalenfänger, ein. Im Fernsehen die Simpsons mit einer Weihnachtsgeschichte, wie passend. Da hab' ich noch eine Tüte mit getrockneten Oktopussies, auch was Gutes, Jod und so. Dazu, nicht zu geringschätzen, das Bier, Mineralienspender. Die Kaffee-Sahne-Schokolade lacht mich an, alles drin was lustig macht - huch, fast alle jetzt, ich sollte keinen Vitaminüberschuß riskieren... Als Ausgleich am besten eine orangefarbene Paprika, Betacarotinträger. Dazu paßt ja auch vorherragend die Scheibe Käse, besser 2 oder 3, Kalzium und so, paart sich gut mit einer Scheibe Wurst, man weiß was da tierisch Gutes drin ist! Die Tüte Walnüsse ist ja hier auch noch, ja, auch an die Hirnnahrung muß man denken. Gut, daß ich keinen Hunger habe. Sollte ich den Kefir noch runterstürzen? Dann könnte ich den Rest der Schokolade ruhigen Gewissens hinterherwerfen. Sollte aber noch Bier kaufen gehen, damit der Mineraliennachschub gesichert ist. Nach den noch echt EU-unkonformen Äpfelchen ist mir aber jetzt nicht, dabei halten sie doch den Dotka fern.
Da will ich mir erstmal nicht vorstellen, wie die ausgewogene Ernährung rückwärts gegessen aussieht...

[]Kaliningrad / Donnerstach, 15. September 2005

Arme Ritter.

Es ist nicht viel übrig von Schloß Balga, der ersten Festung der Deutschordensritter im Lande der Pruzzen. Nahezu ungestört liegen die imposanten Reste im Wald direkt am Frischen Haff, nur ein paar Picknicker haben die schlaglochübersäte enge Straße, die älteste Ostpreußens, durchritten, um hier ein qualmendes Feuer und laute Musik anzumachen. Wenn der Rauch nicht gegen die Mücken hilft, dann vielleicht die Musik?! Haben die lästigen Biester erstmal Witterung aufgenommen, geht es nicht ohne Sticheleien ab. Na dann einen frohen Herbst!

[]Kaliningrad / Sonntach, 11. September 2005

Balga. [Vorsicht, Bildung!]

Es war schon immer schwierig, sich gegen aufdringliche christliche Nächstenliebe zu wehren. Und so erging es auch den Pruzzen schlecht, ungläubigen Anwohnern der Ostsee und Herren des Samlandes, dort wo Bernstein, Fisch und Wild gediehen. Sowas weckt Begehrlichkeiten. Bernstein war ja bekanntlich schwer im Kommen.
Der Deutsche Orden, 1190 in Palästina noch als harmlose Spitalbrüderschaft zur Pflege deutscher Kranker gegründet, nahm die Aufforderung des Papstes an und rief 1230 zum Kreuzzug gen Osten, die Heiden mit dem Schwert zu bekehren. Die teutonischen Ritter machten sich am Frischen Haff breit und 'Schlagt sie wo ihr sie trefft!' mag wohl ihr Motto gewesen sein. Im Jahr 1239 wurde mit dem Bau des Schlosses Balga begonnen, 40 Jahre mußten die Leute auf einer Baustelle leben. Ich kann mir das gut vorstellen: Immer mit dreckigen Botten inne Wohnstube! Die Mama vom Ritter schimpft und es gibt Backpfeifen! Sein Lieblingsgericht!
Doch das Gemäuer, später nach dem ersten Landmeister Preußens, Herrmann von Balg, benannt, war uneinnehmbar und einer der Ausgangspunkte zur Eroberung des gesamten pruzzischen Landes. 1283 war der Widerstand gebrochen, nur der Name der einstigen Herrscher machte Karriere, das deutsche Zeitalter begann.
Es endete 1945. Die Rote Armee hatte die Fluchtwege über das zugefrorene Frische Haff abgeschnitten, Balga ging unter. Erst in den 1970er Jahren rief der Komsomol zu Aufräumarbeiten des von Toten und Kriegsmaterial übersäten Geländes auf.
Von der jahrhundertealten wehrhaften Festung sind heute nur Reste der Vorburg und die Ruine der Pfarrkirche übrig. Und immernoch scharren schlimme Finger nach den Habseligkeiten der tausenden Gefallenen und hastig Verscharrten.

[]Kaliningrad / Sonntach, 11. September 2005

Wo simmer denn hier??

Simmer hier im Zoo oder im Zirkus?
Die Mädels holen die Äpfel - zum Glück nicht das Weißbrot - aus der Tüte und die Bären machen Männchen, rudern mit den Armen, reißen das Schlemmermäulchen auf. Fangen geschickt mit demselbigen. Machen sich für Obst zum Obst! Unterbrechen für ein paar Minuten ihr irres Im-Kreis-Laufen um die großen frisch geschissenen Haufen.

Übrigens, wir sind im Zoo, dem man seine über hundert Jahre Existenz deutlich ansieht.

[]Kaliningrad / Donnerstach, 08. September 2005

Adieu du Alte Welt.

Ich bin verunsichert. Alles ist fremd. Und doch so vertraut.
Tagtäglich reibe ich mir im Geiste die Augen ob der Vorstellung die hier gegeben wird: Eine Melange aus Post-Sozialismus und Frühkapitalismus mit Anleihen aus dem alten Europa. Nimm was du kriegen kannst, mach was daraus. Wer zu langsam, zu blöd oder zu feige ist, hat das Nachsehen und flüchtet in die Bierseligkeit. Jammern zieht nicht mehr. Keine Zeit für Nachdenklichkeit. Verbote sind für Angsthasen, Vorschriften für Weicheier, Rücksicht was für Schwache. Man zeigt, was man hat: die Mädels Haut, die Kerle das dicke Auto. Wer die Sonnenbrille vergessen hat, ist verloren. Wer nix hat, verkauft das Letzte. Die Schere klafft.
Aus dem behaglichen Exportweltmeistersessel kann man da ja nur mitleidig lächeln. Oder? Läßt sich diesen Nachzüglern mit der Arroganz der Alten Welt begegnen? Wer sind wir, die Aufbrechenden zu belächeln? Sind wir denn noch relevant, noch maßgebend?
Wir sind mit uns selbst beschäftigt, mit ununterscheidbaren Politik-Managern und deren schwammigen Parolen, Furcht um den Arbeitsplatz, Steuern, Benzinpreis. Doch das Rad der weltanschaulichen Evolution dreht sich weiter. Wer hätte das gedacht, sind jetzt etwa wir von gestern? Sind unsere Werte überholt, werden sie überholt von der neuen Wirklichkeit? Wir haben es uns bequem gemacht in unserer Welt, glauben uns sicher vor dem Bösen da draußen, den Unzivilisierten und Ungebildeten, den Irrgeleiteten und Unaufgeklärten - aber wer sind wir, uns für die besseren Menschen zu halten?
Wir taugen hier noch als Marke, als Abziehbild, das Original ist entbehrlich. Der alte Traum, verschwommene Vision vom Paradies. Beim Abgucken sind ein paar nebensächliche Details verlorengegangen, so wird mit anderen Voraussetzungen auch das Ergebnis ein anderes.
Und so stehe ich daneben, will mich von dieser Schmierenkomödie des Lebens distanzieren, von der schlechten Kopie, will es nicht nötig haben, mich anzupassen, glaube einen Schritt weiter zu sein. Wer ist denn hier weiter? Und wer bestimmt die Richtung?
So werden wir eingerasteten eingerosteten Hochzivilisierten Geschichte, wenn wir nicht unser Weltbild den sich ändernden Umständen anpassen. Die lieben industriehörigen Politkomiker, die sich mit Wattebäuschchen bewerfen, können uns dabei offensichtlich nicht behilflich sein. Gefangen in den Tentakeln der Konzerne, die mit Abwanderung und Arbeitsplatzabbau drohen, haben sie nicht viel Spielraum. Wer Unpopuläres sagt, fliegt. Die Journaille wird dafür sorgen. Aber mit der gesunden Skepsis einer alten Ostsau gegen alles Neue und als Ästhet will ich trotzdem keine fette miesepetrige Heimatverleugnerin oben auf dem Treppchen sehen. Fehlt noch der Ruck, der durch mich gehen muß, damit die Einsicht in die Notwendigkeit über die Politikverdrossenheit obsiegt.

[]Kaliningrad / Dienstach, 06. September 2005

Die letzten Tage.

Er prickelt noch, der erste - und vielleicht letzte - Sonnenbrand der Saison. Den ganzen Sonntag hatte ich versucht, mich von allen Seiten gleichmäßig knusprig braun zu braten, Drehung hierhin, Wende dahin, es ist mir nicht perfekt gelungen. Und doch halt ich mich für was Besseres als die anderen Hummer, die so inbrünstig den hellen Planeten anbeten.
Auf der Terrasse des einzigen guten Restaurants an der rekordverdächtig häßlichen Strandpromenade von Selenogradsk wird's etwas frisch, als die Sonne nicht mehr wärmt. Zeit, sich auf den Abschied vorzubereiten.

[]Kaliningrad / Dienstach, 06. September 2005

Jantar, Glas und Teufelsfinger.

Wer hält das aus? Dieses geile Wetter? Wer? Ich werd' zum Elch. Nun bin ich bereits zwei Wochen hier und der blaue Himmel erstaunt mich noch immer jeden Tag. Zudem gibt es sogar Zeit, das auszunutzen, ein Novum!
Die Kurische Nehrung, ach so nah, geschichtsträchtig und voller Natur. Der Strand, selbst mit Brille kann ich sein Ende nicht sehen, ist voll leer, angeblich seit man fett blechen muß um das Naturschutzgebiet zu befahren. Die 30 Elche wird's freuen. Und auch wir zahlen gern, sehr gern den Preis für Einheimische.
Etwas zu schnell geht es nun durch den Wald zwischen Ostsee und Kurischem Haff, durchschnittlich nur einen Kilometer breit ist die Landzunge. Ohne anzuhalten kann man durchkrachen bis zur Grenze, hinter der der litauische Teil des Streifens liegt. Aber wer will das schon?! Mit einem Einmalvisum?? Geht doch nich!
Also krachen wir nur durch bis zum nördlichen Teil der fetten Düne, auf der ja der Stumpi so ganz allein sitzt. Meine hektischen Begleiter zieht es aber schonwieder woandershin, an den Ostseestrand, zum Lungern. Also fix ein paar Fotos geschossen, und dann zum Braten, den ersten kleinen Sonnenbrand der Saison fassen.
Auf dem Strandspaziergang läßt sich mit geschultem Auge am Reichtum des vielbesungenen Samlandes teilhaben, dem Bernstein, auf russisch Jantar. Hier liegt er herum in mikroskopisch kleinen Stücken, etwas weiter westlich wird er tonnenweise im Tagebau gefördert. Leichter ist es, die bunten Glasscherben und Donnerkeile, hier Teufelsfinger genannt, aufzusammeln, denn für die scheint es keine Liebhaber zu geben. Aber wenn man eine Glasfabrik aufmachen will, muß man frühzeitig mit dem Sparen anfangen!

[]Kurische Nehrung / Donnerstach, 01. September 2005

...und hier geht's weiter in die Vergangenheit.